grossmannstudio.



My Way to Letterpress

Dieser Vortrag wurde gehalten auf der vierten International Print Biennale Yerevan in Armenien September 2023.

1. Über den Vortrag

Zuerst möchte ich mich Ihnen vorstellen und einen kurzen Überblick über den heutigen Vortrag geben: Meine Name ist Frank-Joachim Grossmann, habe lange als Professor für Typografie und Computergrafik gelehrt, bin seit 1983 tätig als Künstler und Grafikdesigner, habe an der FHG Mannheim und Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart studiert. Ich beschäftige mich mit der Verbindung von Typografie, Computergrafik und Drucktechniken.
Meinem Vortrag möchte ich mich auf die künstlerischen Aspekte konzentrieren, die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte nur als Randbemerkung einbringen. Zuerst gebe ich Ihnen einen Überblick auf geschichtliche Entwicklung und meine ersten Erfahrungen. Danach erkläre ich ein paar wichtige technische Aspekte in Bezug auf die Typografie. Zum Schluß gehe ich auf die Verbindung zur Kunst ein, Stellenwert in der künstlerischen Ausbildung und die Zukunft des Buchdrucks.

2. Was ist Letterpress?

Das Wort setzt sich zusammen aus letter + press = Typografie + Hochdruck.
Letterpress bezeichnet den Buchdruck. Er wird mit industriell vorgefertigten Elementen erstellt und ist ein Teil des Hochdrucks. Die Künstlerische Praxis besteht aus dem Zusammenspiel von Form, Farbe, Papier und Druck. Eine eingefärbte, erhabene Oberfläche wird auf Papier gepresst. Hier sind einige Merkmale des Buchdrucks:
1. eine hochwertige handwerkliche Technik, die dennoch robust und einfach ist
2. das Druckverfahren kommt (fast) ohne giftige Chemikalien für die Umwelt aus
3. das Setzen in traditioneller Weise mit Bleilettern, Holzbuchstaben, Klischees usw.
4. es wird heute als künstlerische Technik verwendet, aber nicht für die Massenkommunikation
5. Druckflächen auf dem Druckstock sind erhaben und ergeben einen vertieften Druckeindruck
6. die Druckfarbe dringt in Papier ein und erzeugt einen Prägeeffekt
7. meist werden voluminöse Papiere verwendet, damit die Prägung zum Vorschein kommt
8. das Druckverfahren macht Drucken auf unterschiedliche Papieroberflächen und -sorten möglich

3. Kurze Geschichte des Buchdrucks

Es begann in Mainz, einer Stadt am Rhein in Deutschland. Johannes Gutenberg erfand die Gießtechnik beweglicher Lettern, ölhaltige schwarze Farbe und eine Druckmaschine zum Buchdruck basierend auf einer Spindelpresse, die damals üblich war als Wein- und Papierpresse. Bis dahin wurden die Bücher in Schreibstuben mit Hand geschrieben oder Seite für Seite mit einem kompletten Druckstock für jede Seite gedruckt, der dann nur für diese eine Buchseite verwendet wurde (Blockbuch).
1452 bis 1454 wurde die erste sogenannte »Gutenberg-Bibel« auf Papier und Pergament gedruckt (zwei Spalten und 42 Zeilen). Dadurch revolutionierte Gutenberg die Buchherstellung und schaffte es, die Bücher wesentlich kostengünstiger und schneller herstellen zu können. Information und Wissen konnten sich schnell in Europa verbreiten. Dies wiederum begünstigte die Entstehung des Humanismus und unterstützte die protestantische Reformation.
Neue Berufe um den Buchdruck herum entstanden: Schriftschneider, Schriftgießer, Buchdrucker, Verleger.
In kürzester Zeit entstanden mehrere Druckereien in wichtigen europäischen Städten. Bereits 1469 bekam Johann von Speyer die Erlaubnis in Venedig für das Drucken mit beweglichen Lettern.
1512 bis 1515 druckte Jakob der Sünder (Jakob Meġapart) in Venedig erste Bücher in armenischer Schrift zum Thema religiöse Poesie und Messbuch, aber auch Zaubersprüche und praktische Ratschläge. Diese Bücher waren wichtig, da zu dieser Zeit armenische Kultur bedroht war von Kriegen und Zerstörung.
Schnell ging die Entwicklung des Buchdrucks (Letterpress) weiter zur täglichen Zeitung und Zeitschrift mit Abbildungen.
Ich möchte exemplarisch drei Erfindungen aus dem Bereich des Buchdrucks hierzu vorstellen:
Die Zylinderpresse
Der deutsche Drucker Friedrich Koenig entwickelte die Zylinderpresse angetrieben von einer Dampfmaschine. Dadurch wurde es möglich, ab 1814 die Zeitung »The Times« in London täglich erscheinen zu lassen.
Die Autotypie
1882 patentierte der Kupferstecher und Grafiker Georg Meisenbach das Verfahren der Autotypie, ein Verfahren, um von Halbtonbildern ein gerastertes Klischee aus Zink oder Kupfer zu erstellen, eine Grundvoraussetzung für Layout von Bild und Text in der Zeitschrift (Journal oder Magazin).
In den 1920iger Jahre gab es die ersten freien Grafiker, die Produktwerbung gestalteten für die neuen Märkte und Produkte wie Plakate, Anzeigen, Prospekte und Visitenkarten (z.B. Louis Oppenheim in Berlin). Diese Werbemittel mit geringem Satzumfang wurden von Akzidenzdruckereien erstellt.
Die Polymerplatte
Seit 1969 werden Polymerplatten (BASF Nyloprint) verwendet, die durch ein fototechnisches Verfahren Druckvorlagen liefern: Bereiche, auf die später Farbe aufgetragen werden soll, werden durch ultraviolettes Licht gehärtet und nicht druckende Bereiche werden mit Wasser ausgewaschen.
In den 1970iger Jahre kam das Ende des kommerziellen Buchdrucks. Er wurde vom Offsetdruck verdrängt. Heute lebt der künstlerische Buchdruck weiter in Minipressen Druckereien und Kleinstverlagen.

4. Erste Schritte zum Buchdruck

1978 begann ich mein Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Mannheim. Hier lernten wir zwar noch im ersten Semester Handsatz und Drucken an einer Korrex Andruckmaschine. Aber die Dominanz des Bleisatzes war schon vorbei.
Das Fotosatzgerät Diatype
Im zweiten Semester lernten wir dann Fotosatz an der Diatype (Berthold AG).
Das Titelsatzgerät Staromat
Titelsatz am Staromat (Berthold AG), gedruckt wurde an einer Offset Andruckpresse oder im Siebdruck.
Die Schweizer Typografie und die Typografischen Monatsblätter
Als Werkstattleiter hatten wir einen Setzer, der uns begeistert in die Schweizer Typografie und den Gestaltungsraster einführte. Er selbst hatte zuvor in Zürich in einer Druckerei gearbeitet. Vorbildliche Beispiele zeigte er uns in den Heften »Typografische Monatsblätter«, herausgegeben von der schweizerischen Gewerkschaft für Druck und Papier.
http://www.tm-research-archive.ch/
Die Typografischen Monatsblätter waren eine der wichtigsten Zeitschriften, die das Thema »Schweizer Typografie« erfolgreich einem internationalen Publikum näher brachten. In den mehr als 70 Jahren ihres Bestehens hat die Zeitschrift bedeutende Momente in der Geschichte der Typografie und des Grafikdesigns gezeigt.
Die Schweizer Typografie dominierte in Europa nach dem zweiten Weltkrieg. Verschont von den Kriegswirren und der Vertreibung von kreativen Menschen, hatte sich in der Schweiz die aktuellste moderne Typografie entwickelt nach 1945. Aber 1978 war sie eigentlich schon historisch, dominierte trotzdem die Designausbildung.
4.4. Letraset
Neue Techniken waren im Studiumsalltag eingezogen. Es war das Jahrzehnt der Fotokopie (Kopieren – Schneiden – Kleben –Kopieren) und der Letraset-Anreibebuchstaben. Diese Techniken befreite uns von dem Bleisatz der neutralen Schweizer Typografie und führte zu einer mehr illustrativen Typografie.
4.5. Das Magazin U&lc und ITC International Type Cooperation
Gestalterisch prägend waren die eng gesetzten Schriften der ITC aus New York und ihrer kostenlosen Zeitschrift U&lc.
https://archive.org/details/ulc-magazine/Volume%201-1/
4.6. Apple Macintosh Computer und Adobe PostScript
Kurz nach meinen Studium in Mannheim kam 1984 der erste Apple Macintosh heraus, Desktop Publishing mit den Fonts im Adobe PostScript Format wurden möglich. 1987 begann ich Computergrafik mit einem Atari 1024 ST. Jetzt war es für mich möglich, selbst ein Layout zu gestalten, dies auf Film ausbelichten zu lassen und damit eine Druckvorlage für Offsetdruck herzustellen ohne die Hilfe von Setzern und Reprografen.

5. Die Buchdrucktechniken

Hier erkläre ich kurz die Werkzeuge für den Buchdruck, sowie den Prozess des Setzens und Druckens.
5.1. Die Werkzeuge in der Setzwerkstatt
Als erstes fallen in einer Setzwerkstatt eine Reihe von Regalen auf, mit Kästen von Lettern und anderen Teilen:
1. Brotschriftkästen mit Bleilettern bis 14 pt Schriftgröße
2. Steckkästen mit Bleilettern ab 20 pt Schriftgröße
3. Holzkästen mit Holzlettern ab ungefähr 96 pt oder 8 cicero (ca. 24 mm Versalhöhe)
4. Linienkästen
5. Ausschlusskästen mit Blindmaterial, wie nicht-druckende Stege, Spatien für den Wortzwischenraum und Regletten für den Zeilenabstand (»Durchschuss«)
Die Anzahl der Buchstaben in den Setzkästen variieren nach der statistischen Häufigkeit in der Sprache.
Der Schriftsetzer setzt die Lettern und die Wortzwischenräume in einen Winkelhaken, den er in der linken Hand hält, während mit den Fingern der rechten Hand die einzelnen Buchstaben/Zeichen aus dem Setzkasten gegriffen werden. Vor dem Setzen wird die Breite des Winkelhakens eingestellt (Kolumne oder Spaltenbreite). Darauf wird die Setzlinie gelegt, dann werden die gesetzten Zeilen aus dem Winkelhaken auf das Setzschiff abgelegt, um Kolumnen montieren zu können. Der zusammengestellte Bleisatz wird anschließend mit Hilfe der Ahle und Pinzette mit der Kolumnenschur ausgebunden und zum Druck weitergegeben.
Das typografische Maßsystem
Der Setzer misst mit einem Typometer in mm und in der typografischen Größe Punkt. Bedauerlicherweise gibt es mehrere Punktgrößen:
1. Der europäische Didot-Punkt pt (0,376 mm), 12 pt= 1 cicero, die Höhe des Schriftkörpers 62 2/3 pt
2. Der englische Pica Point (0,351 mm), 12 p = 1 pica, die Höhe des Schriftkörpers 62 p
3. Der PostScript Punkt (1/72 inch oder 0,353 mm) als Vereinfachung beim Computer
5.2. Das Setzen
Die Planung
1. Manuskript: Messen von Schriften und Abständen nach Vorlage
2. Schriftprobe: Auswahl der geeigneten Schriften
3. Format und Druckbogen: Festlegen der Größen
4. Ausschießen (richtige Reihenfolge der Seiten beim Falzen des Druckbogens)
5. Zuschuss: Berechnung von Druckbogenzahl und Papiermenge
Die Detailarbeit
1. Satzspiegel und Layout
2. Lesetext, Konsultationstext, Signalisationstext, Schautext festlegen
3. Auszeichnung durch Versalien, Kapitälchen, Halbfett und Fett, Kursiv oder Sperren
4. Blocksatz, Flattersatz oder Mittelachsensatz
5. Umbruch: das Umbrechen von Zeilen
6. Blocksatz durch Austreiben und Einbringen der Wortabstände
7. Kompress oder Durchschuss der Zeilenabstände
8. Ausgleichen: Unterschneidung und Spationierung der Buchstabenabstände
9. Schließen mit Schließwerkzeuge im Schließrahmen
10. Bürsten und Klopfen der Druckform
5.3. Das Drucken
Das richtige Papier
Papierart: Werkdruckpapier, Büttenpapier
Papierformate: DIN oder ISO Formate, Weltformat, Buchdruckformate z.B.
Folio (2 Blätter 32–35 cm)
Quart (4 Blätter 23–26 cm)
Oktav (8 Blätter 18–20 cm)
Die richtigen Farben
Buchdruckfarben im CMYK Farbsystem oder Echtfarben wie Pantone und HKS werden aus Farbdosen auf einen Farbstein oder Glas mit Spachtel aufgetragen.
Die richtige Druckmaschine
Grundsätzlich Flachbett- oder Zylinder-Druckmaschine:
1. Handpresse, Kniebelpresse, Handtiegelpresse
2. Andruckpresse mit Motor beim Farbwerk (Korrex, FAG, Graphix)
3. Schnellpressen (Heidelberger Tiegel, Heidelberger Zylinder und MAN Rotationspresse)
Positionierung auf dem Papier
Anlage und eventuell Anlagemarke, auch bezeichnet als »Frosch«
Zurichtung
Anpassung der Druckkraft durch Aufzug mit Aufzugpapiere oder Gummituch
Ausgleichzurichtung der Druckform
5.4. Das Reinigen der Druckmaschine und Setzmaterialien ablegen
1. Reinigen der Druckmaschine
2. Reinigen der Farbwalzen und des Farbsteins
3. Ablegen der Lettern in die richtigen Setzkästen
5.5. Die Weiterverarbeitung
in der Buchbinderei
1. Veredelung: Prägung, Heißfolienprägung
2. Rillen, Nuten, Stanzen, Perforieren
3. Binden: Buchblock, Buchumschlag, Buchrücken, Vorsatz
4. Schneiden
mit Falzbein, Ahle, Heftgarn, Papiermesser und Stahllineal

6. Buchdruck und Typografie

Die bisherige Beschreibungen zeigt die enge Verbindung von Letterpress und Typografie. Die Produktionsweise und das Material bestimmen teilweise die Form der Buchstaben.
6.1. Bleilettern
Bei Bleilettern werden zuerst ein Stempel aus Stahl erstellt, dann davon eine Matrize in Messing und schließlich davon die Abgüsse in einer Legierung aus Blei, Zinn und Antimon. Ganze Zeilen konnten gegossen werden mit der Linotype Setzmaschine von Otto Mergenthaler 1885, was die Herstellung von Artikeln für Zeitungen wesentlich beschleunigte.
https://www.druckkunst-museum.de/de/schriftgiesserei.html
6.2. Holzlettern
Größere Holzlettern ab ca. 6 Pica werden für Plakate benötigt. In dieser Größe gegossene Bleilettern waren nicht mehr sinnvoll. William Leavenwood erfand 1843 einen Pantografen verbunden mit einer Holzfräse. Jetzt konnten Buchstaben aus hartem lang gelagertem Holz (Birnbaum, Maulbeerbaum, kanadischer Ahornbaum) in verschiedenen Größen reproduziert werden. Später wurde die Oberfläche der Holzlettern mit einem Kunstharz genannt »Plakadur« behandelt, um stärkere Festigkeit zu erreichen.
Ab Mitte der 70iger Jahre wurde in Deutschland die Produktion eingestellt, aber zahlreiche Holzlettern sind heute noch vorhanden. Ein großes Museum mit einer interessanten Holzlettern-Sammlung ist das Hamilton Wood Type & Printing Museum in Wisconsin USA.
https://woodtype.org/
6.3. Schriftgießereien
In Deutschland gab es bis zur Einführung der PostScript-Fonts eine Reihe bekannter Schriftgießereien, z.B. H. Berthold AG (Berlin und Stuttgart), D. Stempel AG (Frankfurt) und in der ehemaligen DDR die VEB Typoart (Dresden).
Internationale Beispiele sind Deberny & Peignot (Paris France), Monotype (Boston USA) und die Haas’sche Schriftgiesserei (Basel Switzerland) mit der Hausschrift Helvetica.
Der letzte Schriftgießer in Deutschland mit der Rainer Gerstenberg beendete gerade seine Tätigkeit. Einen beeindruckenden Film über ihn kann man auf YouTube sehen.
https://www.rainer-gerstenberg.de/
6.4. Vom PostScript Type 1 Font zum Web Font
In den 80er Jahren wurden die klassischen Schriftarten in das PostScript-Format digitalisiert:
1. PostScript Type 1 (Adobe) .pfm, .pfb, .afm
2. TrueType (Microsoft) .ttf
3. OpenType (cross-plattform Containerformat) .otf und
4. Das Web Open Type Font (Containerformat) .woff2
Heute findet der Entwurfsprozess von neuen Fonts ohne Vorlagen von Blei- oder Holzlettern statt, zum Beispiel bei Google Fonts unter SIL Open Font Lizenz.
6.5. Schriftklassifikation
In einer Deutschen Industrie Norm DIN 16518 wurde eine Klassifikation der Satzschriften nach zeitlicher Chronologie und Erkennungsmerkmalen erstellt:
Gruppe 1 Venezianische Renaissance-Antiqua
Gruppe 2 Französische Renaissance-Antiqua
Gruppe 3 Barock-Antiqua
Gruppe 4 Klassizistische Antiqua
Gruppe 5 Serifenbetonte Linear-Antiqua
Gruppe 6 Serifenlose Linear-Antiqua
Gruppe 7 Antiqua-Varianten
Gruppe 8 Schreibschriften
Gruppe 9 Handschriftliche Antiqua
Gruppe 10 Gebrochene Schriften
Gruppe 11 Fremde Schriften
6.6. Typografische Regeln
Viele feine typografische Regeln haben Setzer und Drucker nach und nach entwickelt, die aus Erfahrung entstanden sind. Als bekannte Beispiele möchte ich Jan Tschichold in Europa und Robert Bringhurst und sein Buch »The Elements of Typographic Style« nennen.
Inzwischen versucht man die Regeln des Lesens durch Forschung zu belegen. Unsere Erkenntnisse, wie das Lesen beim Menschen funktioniert, haben sich dadurch wesentlich erweitert. Ein Beispiel ist die Website »leserlich.info« des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands.
https://www.leserlich.info/index.php

7. Buchdruck und Kunst

Nachdem Offsetdruck und Digitaldruck ganz den Buchdruck im kommerziellen Bereich verdrängt hatte, entwickelte sich eine weit verbreitete und verzweigte Szene von Minipressen-Verlagen und -Künstlern in verschiedenen Ländern, die diese Drucktechnik weiter pflegen. Haptisches Erlebnis, einfache Technik und die Verbindung von Sprache und Bild machen den Erfolg aus. Drei Anwendungen haben sich etabliert:
1. Plakate und größere Grafiken für Ausstellungen
2. Bücher für Kunstsammler und Kunstinteressierte
3. Postkarten, Visitenkarten und Einladungen für besondere Anlässe; man sieht diese Grafiken besonders auf Messen und in Museen zum Thema Druck
Am besten lässt sich die Entwicklung wieder anhand von Beispielen zeigen:
7.1. William Morris (1834–1896) und die Kelmscott Press
Die Bücher der Kelmscott Press sind Beispiele für hervorragende handwerkliche Buchqualität. William Morris ist Mitbegründer der Arts and Krafts Movement, eine Bewegung, die zurück zur handwerkliche Kunst wollte in Abgrenzung zu den preiswerten Industrieprodukten. Er selbst wirkte universell als Architekt, Designer, Maler, Dichter und Drucker.
7.1. Wolfgang Weingart (1941–2021)
Weingart, ein Typograf der Nachkriegsgeneration; er lies sich nicht von der strengen schweizer Typografie einengen und experimentierte frei mit dem Satzmaterial z.B. Sägen und Verbiegen von den Satzmaterialien. Er wurde dadurch Vorbild für jüngere Typografen wie April Greiman, die mit dem Computer typografisch experimentierten.
https://www.eguide.ch/de/designer/wolfgang-weingart/
7.2. Dafi Kühne (1982)
Dafi Kühne ist ein junger Plakatgestalter aus der Schweiz, studierte in Zürich und machte Praktikum in einer Druckerei in USA, heute lebt er in Näfels bei Zürich und ist bekannt geworden durch sein Buch »True Print« vom Lars Müller Verlag, macht Plakataufträge und Workshops auf der ganzen Welt. Er gehört zu einer Gestalter-Generation, die ohne Probleme zwischen Handsatz , Computersatz und handgemachten Linolschnitten hin- und herwechseln können.
https://www.babyinktwice.ch/
7.4. Suhrkamp Letterpress
Suhrkamp ist einer der größten Verlage in Deutschland. Die Auflage der Suhrkamp Letterpress-Titel ist exklusiv auf jeweils 1.000 Exemplare limitiert. Suhrkamp Letterpress will keinen bibliophilen Markt bedienen. Gedruckt werden die Bücher bei Daniel Klotz und »Die Lettertypen« in Berlin.
Die Edition Suhrkamp Letterpress entstand in Zusammenarbeit mit dem Typografen Erik Spiekermann und Süpergrüp. Sieben herausragende Werke des 20. Jahrhunderts, die alle im Suhrkamp Verlag erschienen sind, wurden für diese Zusammenarbeit neu gestaltet, gesetzt und im Buchdruck von digital belichteten Polymerplatten auf einer originalen Heidelberger Zylinderdruckmaschine gedruckt.
Das Designkollektiv Süpergrüp realisiert Design- und Kunstprojekte. Als Produzentengalerie zeigen sie die Arbeiten und Produkte bedeutender Designer und vielversprechender Talente. Als Think Tank entwickeln sie Projekte und Produkte für Institutionen und Unternehmen.
https://www.suhrkamp.de/suhrkamp-letterpress/suhrkamp-letterpress-ueber-die- edition-s-1328
https://www.lettertypen.de/
https://www.p98a.berlin/
7.5. Gutenbergmuseum Mainz
und die Minipressen-Messe
Das Museum ist berühmt für seine erste gesetzte und gedruckte Original-Bibel und seine weitere Sammlung ausgewählter Bücher. Alle zwei Jahre zeigen mehr als 220 Aussteller aus zehn Ländern auf der Minipressen-Messe in der Gutenberg-Stadt Mainz ihre Kleinstverlagsbücher und Künstlerbücher.
https://www.mainz.de/microsite/gutenberg-museum/splash-page.php
7.6. Museum für Druckkunst Leipzig und die Typotage
Das Museum für Druckkunst in Leipzig hat sich seit seiner Gründung 1994 ganz dem Kulturerbe Drucktechnik verschrieben. Es ist ein lebendiger Ort der Industriekultur, der auf vier Etagen anhand von rund 90 funktionsfähigen Maschinen 550 Jahre Druckkultur präsentiert. In den Abteilungen Schriftgießerei, Satztechniken, Druckpressen etc. werden von Fachpersonal die Maschinen live vorgeführt.
Jährlich veranstaltet das Druckmuseum den Typotag, ein Tag im Mai mit aktuellen Vorträgen zu einem Thema der Typografie. https://www.druckkunst-museum.de/de/
Tag der Druckkunst
Das Druckmuseum war einer der Initiatoren zur Aufnahme der Künstlerischen Drucktechniken in das bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe UNESCO Deutschland und dem damit verbundenen Tag der Druckkunst am 15. März.
https://www.tag-der-druckkunst.de/

8. Buchdruck in der Ausbildung

Warum ist eine Ausbildung im Buchdruck auch heute noch sinnvoll?
Der Kopf gestaltet mit der Hand. Das Greifen und das Begreifen bilden eine Einheit. Die Montessori Bewegung und die Waldorfpädagogik betonen die Einheit von handwerklichen Techniken und Erfahrungen.
Peter Weibel, Künstler und Theoretiker, Leiter des ZKM Karlsruhe bis 2023, beschreibt in einem Interview 2017 für das Goethe-Institut zwei Wahrnehmungsformen: die Nahsinne mit Spüren, Riechen usw. und die Fernsinne mit den elektromagnetischen Technik wie Radio, Fernsehen, Telefon, Internet usw. In Abstimmung von Nah- und Fernsinn konstruieren wir unsere Wirklichkeit. Inzwischen dominiert der Fernsinn.
Besonders in der künstlerischen Ausbildung ist es daher notwendig, wieder Nahsinne zu fördern, um somit kreative Prozesse in Gang zu setzen.
In Deutschland gibt es ca. 25 Buchdruckwerkstätten an Gestaltungshochschulen. Unterricht in diesen Werkstätten haben zum Ziel:
1. Schulung der typografischen Kenntnisse
2. Umgang mit begrenztem Quellenmaterial wie Schriftarten, Schriftgrößen usw.
3. Physisches Kennenlernen des Materials und der Prozesse
4. Einüben von Planungsprozessen wie Formatwahl, Materialien, Druckauflage und Zeitplan
5. Üben der Zusammenarbeit mit mehreren Teilnehmenden
6. Mischen von Farben mit der Hand und Mischen durch das Übereinanderdrucken von Druckfarben
7. Zufallsprodukte wie Monoprints und Fehldrucke als Ausgangsmaterial für weitere Experimente erkennen
Heute spielt besonders das Zusammenspiel von Design Software und Hardware zur Umsetzung in der analogen Druckwelt eine große Rolle. Eine Bildschirmtypografie hat die Eigenschaften des Lichts. Dagegen ist die Materialität von Farbe auf dem Träger Papier und die Wahrnehmung von negativen (nicht-druckenden) Raum durch Blindmaterial eine ganz andere Sinneswahrnehmung.
Der Buchdruck ist zeitaufwendig, aber aus den genannten Punkten trotzdem wichtig und notwendig in der digitalen Zeit. Wer solche Kurse erlebt hat, kennt die Freude der Teilnehmenden an der sinnlichen Wahrnehmung.

9. Die Zukunft des Buchdrucks

Personen, die in einem Letterpress Beruf tätig waren, gibt es immer weniger. Neue Letterpress Maschinen werden nicht mehr produziert, sondern gepflegt und repariert. Gleichzeitig ist aber das Interesse an Letterpress in einer jüngeren Generation vorhanden. Deshalb sollte in der Zukunft die traditionellen Techniken mit den neuen digitalen Techniken verbunden sein. Frühere wirtschaftliche Bedeutung wird Letterpress nicht mehr zurückbekommen, aber seinen festen Platz im Kunst und Bildungsbereich wird es behalten. Das Bedürfnis nach »Nahsinnen« ist auf jedenfalls groß.Hier möchte ich ein paar neue Techniken beschreiben:
1. Laser Cut von Holz, MDF oder Acrylglas
2. CNC Fräse für Teile aus Holz, MDF oder Linoleum
3. 3D Drucker für die Erstellung von Lettern
Wahrscheinlich werden diese Möglichkeiten nach und nach Blei- und Holzlettern ersetzen. Es gibt sogar schon Druckmaschinen als Bausatz mit lasergeschnittenen Multiplex-Holzteilen.
Diese Techniken verbinden das Entwerfen in Design Software mit den Drucken an der Druckmaschine.
Fehldrucke und Monoprints lassen sich direkt an Druckmaschine erstellen. Sie entsprechen der Random Funktion in der Programmierung und das Abdrucken von Alltagsgegenständen (»As found«) kann anregen zu neuen Bildideen.
Ob sich Digitaldrucke oder Risografie mit Letterpress kombinieren lässt, ist schwer abzuschätzen. Eine Verbindung von programmierter generativer Gestaltung und Letterpress ist gut vorstellbar.
Zum Schluß möchte ich zwei Font-Techniken noch kurz beschreiben, deren Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind:
1. Variable Fonts
Bisher schon werden auf Websites gerne variable Schriftarten verwendet. Es können nicht nur Schriftstile von dünn bis extrafett eingestellt werden, sondern Sie können auch völlig unterschiedliche Übergänge haben wie der Font »Robot Flex«.
2. Color Fonts
Farbige Schriftarten sind möglich. Bislang haben sie sich noch nicht durchgesetzt. Mit der Möglichkeit von farbigen Druckflächen lassen sie sich natürlich gut für druckähnliche Buchstabenüberlagerungen verwenden.

10. Ein Fazit

Da Letterpress sowohl einfache als auch vielfältige Möglichkeiten zulässt, wird es als Drucktechnik beliebt bleiben. Für mich ist es die natürliche Technik für Typografie. Aber ich hoffe, dass der Buchdruck nicht in den alten Techniken erstarrt und sich mit den neuen Möglichkeiten weiterentwickelt.

Prof. Frank-Joachim Grossmann