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Werner Ring – Die Kunst der Sachdarstellung

Im Jahr 1987 lernte ich Werner Ring kennen durch den Drucker Remo Krembel. Werner hatte sehr viel zu tun, und er suchte jemand, der ihm half. Ich erinnere mich noch gut, wie er mir am Telefon den Weg nach Kleinfischlingen genau erklärte.
Ich traf in Kleinfischlingen einen Mann, der sich aufs Land zurückgezogen hatte in einen umgebauten Bauernhof mit innen liegenden Hof. Man musste anklopfen, um eingelassen zu werden. Hier hatte er seine Ruhe um arbeiten zu können, konnte sein Arbeits-Rhythmus selbstbestimmen und jeder Zeit eine Zigarettenpause einlegen. Hier in Kleinfischlingen kümmerte er sich auch jeden Tag um seine Hühner und pflegte hier seine große Auswahl an Rosenstöcken. Er sprach ganz offen mit mir, erklärte mir seinen Auftrag für ein Insekten-Bestimmungsbuch. In Erinnerung geblieben ist mir auch seine reichhaltige Bibliothek mit Tier- und Pflanzendarstellungen. Grundlegende Eigenschaften eines Illustrators sind Ruhe und Gelassenheit beim Zeichnen und Pflichterfüllung gegenüber dem Verlag.
Gleich vor Ort konnte ich an einer Tierdarstellung zeichnen und fuhr mit Insekten in Formaldehyd eingelegt nach Hause. Ich machte mich an die Arbeit, und er korrigiert später meine Illustrationen, machte die Konturen deutlicher und klarer.
Vom Arbeitsablauf bestand die Illustrationsarbeit darin, mit Bleistift und Feder vorzuzeichnen auf Reinzeichenkarton, dann Stellen durch Folien oder Gummierung abzukleben und mit Airbrush Verläufe anzulegen. Die Oberflächenstrukturen wurde danach mit Pinsel oder Buntstift herausgearbeitet. Schließlich arbeitete man helle Stellen durch Radieren und Kratzen auf den Reinzeichenkarton wieder heraus. Werner erklärte mir, dass man beim Zeichnen von Härchen eben nicht daran vorbeikommt, mit dem feinsten Pinsel dünnste Linien auslaufend entlang der Oberfläche des Tieres ziehen zu müssen.

Werner Ring zeichnete, und erklärte auch gerne die Zusammenhänge, wie z.B. die anatomische Konstruktion bei einem Tier sein konnte, wie ein Bewegungsablauf funktionierte, oder wie eine Pflanze gewachsen war. Ich höre noch deutlich seinen fränkischen Akzent, wie er mir beispielsweise erzählte, dass er mit seinen Sohn Tom Diskussionen hatte, weil er einen Drachen für ein Ravensburger Spiel illustrieren sollte, und er etwas umzusetzen hatte, das seiner Meinung nach anatomisch nicht möglich sei.

Wir arbeiteten noch bei mehren Projekten zusammen: ein Erdkundebuch beim Oldenbourg-Verlag und vor allem ein Umweltlexikon beim Ullstein Verlag. Es war eine Übergangszeit: man zeichnete mit Rapitograph und Tusche auf Folien oder Reinzeichenkarton. Mit meinen ersten Atari-Computer und einem Zeichenprogramm konnte ich einfache Informationsgrafiken als Reinzeichnungen erstellen. Später hatte er in Kleinfischlingen ebenfalls Mac-Computer, aber ganz sicher bevorzugte er das Zeichen mit Stift und Feder.
Hier in dieser Ausstellung sehen Sie die typischen Merkmale der Sachdarstellung, die Werner Ring vollkommen beherrschte:
1. anders als in der Fotografie lassen sich die typischen Merkmale eines Tiers oder einer Pflanze zeichnerisch deutlich herausarbeiten.
2. die Umgebung wird weggelassen oder durch Grauwerte nur angedeutet um auf Tier oder Pflanze allein zu verweisen.
3. Lebensräume mit Pflanzen und Tiere simultan können so gezeichnet werden, wie sie in der Natur idealerweise nicht vorkommen (Lebensraum Korallenriff).
4. wichtige Details werden durch Vergrößerung hervorgehoben werden (Fisch).
5. Darstellungen gewinnen an Klarheit durch lineare Schwarzweiss-Abstraktion (Stadtpanorama).

Jeden Morgen um 8 Uhr fuhr Werner nach Kleinfischlingen, und kehrte abends gegen 20 Uhr zurück nach Speyer. In der Zeit der Zusammenarbeit kam er dann bei mir vorbei um die entstandenen Zeichnungen zu besprechen. Durch Werner hatte ich als Illustrator Kontakt zum Bibliographische Institut in Mannheim bekommen. Die Arbeit am Brockhaus war gerade beim Buchstaben K wie Kamille, Kaffee, Kakao, etc. Die Wiedervereinigung und die Zusammenlegung von Brockhaus Mannheim und Leipzig beendete jedoch diese Zusammenarbeit. Illustratoren in der ehemaligen DDR und Tschechoslowakei waren ebenfalls fachlich gut und arbeiteten kostengünstiger. Durch Lehraufträge im Bereich Typografie und durch andere Orte wie z.B. die Akademie Stuttgart und Hochschule für Gestaltung Karlsruhe entwickelte ich mich weg von der Sachdarstellung zur Computergrafik.

Eine weitere längere Begegnung mit Werner Ring hatte ich, als ein Gastprofessor und Kollege vom Maryland Institute College of Arts (Baltimore) nach Schwäbisch Hall kam. Ich lud Lew Fifield zu mir nach Speyer ein. Ich wollte Lew die Pfalz zeigen und hielt es für wichtig, dass er auch Werner Ring mit seinen Zeichnungen in Kleinfischlingen kennenlernen musste. Es ist für mich eine schöne Erinnerung, beide Fachleute im intensiven Gespräch erlebt zu haben.

Zum Ende möchte ich noch einen Gedanken formulieren zu Werner und seine Zeichnungen, die Sie hier sehen:
Sein Handwerk, aber auch sein Nachdenken und seine Art Fragen zu stellen machten Werner Ring zu mehr als einem Zeichner nach der Natur, sondern zum Illustrator, zum Künstler im eigentlichen Sinn.
Seit mehreren Jahrhunderten fertigten Künstler präzise Zeichnungen für Naturhandbücher, im Auftrag von Gelehrten aber auch für sich selbst. Im Zeichenprozess wurde eine Form nicht nur abgebildet sondern sollte im Ganzen verstanden werden. Dadurch wurden historisch gesehen die Künstler selbst zu Wissenschaftlern, Forschern und besten Kennern der Materie.
Werner Ring war einer dieser »visuellen Forscher«, der auf hohem Niveau seine Illustrationen ausführte und damit Wissen schaffte.
»Das Schöne ist auf das Richtige angewiesen, und das Richtige muss sich in der besten Ästhetik entfalten.« Diese Zitat vom Gestalter Otl Aicher im Buch »Die Welt als Entwurf« passt für mich genau auf die Zeichnungen, die hier ausgestellt sind.

Frank-Joachim Grossmann